津和野 / Tsuwano

TSUWANO — Kioto en miniature


Tsuwano, ein kleiner Ort im Südwesten Japans, ist seinen knapp siebentausend Einwohnern ein “kleines Kioto” und vielen im Inselland Inbegriff einer  japanischen “Heimat”.

  

Der Ort hat eine Geschichte von mehr als siebenhundert Jahren.
Bekannt wurde er außerhalb Japans erstmals durch Persönlichkeiten, die in der Geschichte der Modernisierung Japans nach 1868 wichtige Rollen spielten und im einstigen Fürstentum Tsuwano und seiner Hochschule ihre Wurzeln hatten, z. B. den Philosophen und Aufklärer NISHI  Amane (1829-1897) oder  KAMEI Koreaki (1861-1896), Sohn des Fürsten von Tsuwano, der nach seinem Studium in Deutschland die Stoff-Färbekunst weiterentwickelte und sich als Fotograf einen Namen machte. Er ist der Geburtstort des Dichters und Arztes MORI Ôgai (1862-1922).
Seinen bedeutenden Gelehrten und Künstlern, deren Gräber im moosbewachsenen Zen-Tempel des Ewigen Lichts zu finden sind, verdankt Tsuwano eine erstaunlich große Anzahl von Museen und Gedenkstätten. In neuerer Zeit hat man auch dem weltweit bekannt gewordenen Kinderbuchautor und Maler ANNO Mitsumasa ein eigenes Museum gebaut.

 

 

Von der einstigen Burg (um 1295 entstanden, seit 1872 verfallen) zeugt eine das Städtchen überragende Ruine. Von hier hat man einen unvergleichlichen Blick über das Tal: auf das Miniaturformat einer in jeder Jahreszeit auf andere Weise reizvollen Landschaft in allen Schattierungen von Grün und Rot. Daraus leuchten die schiefergrauen Häuserdächer und die aneinander gereihten zinnoberroten Tore des Fuchsschreins hervor. Dank der alten, gut erhaltenen Adelshäuser im Stadtzentrum, wird Tsuwano von vielen auch “Kioto en miniature” (Shô-Kyôto) genannt.

Im “Brokatstrom”, dem Fluß von Tsuwano, und in den Gräben zu beiden Seiten der Hauptstraße blinken die Rücken unzähliger bunter Karpfen (bei uns als “Koi” bekannt). Auch  zu schlimmsten Hungerszeiten hätte sich niemand an ihnen vergriffen.

Im nahen Laubwald gelangt man zur Marienkappelle. Als in den ersten Jahren der Restauration der kaiserlichen Herrschaft unter Kaiser Meiji seit 1868 mehr als dreitausend Christen in Umerziehungslager gebracht wurden, da das Christentum als große Gefahr für das von Kolonialmächten bedrohte Kaiserreich galt, hielt man auch in Tsuwano 153 Altchristen aus Nagasaki gefangen, deren Vorfahren während des zweihundertfünfzig Jahre dauernden Christentumverbots ihrem Glauben treu geblieben waren. In wenigen Jahren starben 36 von ihnen an Folter, Hunger und Kälte. Zum Gedenken an die Verfolgung wird seit Beginn der 1950er Jahre an jedem 3. Mai eine Marienprozession veranstaltet.

 

Tsuwano ist berühmt für seine traditionellen Feste. Ob es das berittene Bogenschießen (yabusame) im April ist, die Betrachtung japanischer Riesenglühwürmchen Mitte bis Ende Juni, die Kranichtänze (sagi-mai) im Juli mit den anrührend von 60 Grundschülerinnen dargestellten kleinen Kranichen oder die O-Bon-Tänze zum japanischen Totengedenken im August wie Drachen- u.a. Volkstänze - es ist immer wieder erstaunlich, was diese kleine Gemeinde mit Begeisterung auf die Beine stellt. Dank dieser Attraktionen übersteigt dieZahl der Touristen jährlich die der Einwohner um ein Vielfaches.

 

Tsuwano erstreckt sich über eine Fläche von 140 Quadratkilometern, 80% davon sind Wald, weshalb Tsuwano auch in der Poesie als “Ort im Schatten der Berge” besungen wird. Vier Grundschulen, zwei Mittelschulen und eine Oberschule sorgen für gebildeten Nachwuchs. Traditionelle Handwerke sind die Herstellung von handgeschöpftem Japan-Papier (washi) und von Reiswein (sake).

 

Im Zentrum der Beziehungen Berlin-Tsuwano stehen die beiden Ôgai-Einrichtungen. Als nach der Wende des Jahres 1989 die Existenz der 1984 gegründeten Berliner Mori-Ôgai- Gedenkstätte bedroht war, beteiligten sich Bürger aus Tsuwano an der Rettungsaktion. Im Frühjahr 1995 wurde auch in dort eine Gedenkstätte eingerichtet. Im Herbst desselben Jahres unterzeichneten die Bürgermeister von Berlin-Mitte und Tsuwano einen Partnerschaftsvertrag.

 

Text: Beate Wonde

 

Mori-Ôgai-Gedenkstätte

der Humboldt Universität zu Berlin